Bühne frei für „kulturgut digital“ – digitale Zukunftsszenarien für Berliner Kulturinstitutionen
Auf der inzwischen dritten ausgebuchten digiS-Jahreskonferenz, die 2015 unter dem Motto „Bühne frei für kulturgut digital“ in der Berlinischen Galerie stattfand, standen sowohl die aktuellen Projekte des Förderprogramms als auch die Ende September abgeschlossenen EFRE-Projekte im Rampenlicht. Dabei wurden nicht nur die Ergebnisse der Digitalisierungsprojekte präsentiert, sondern auch Raum für eine Visionsentwicklung geschaffen. Nach einleitenden Worten des Berliner Staatssekretärs für Kultur, Tim Renner, der einmal mehr dafür plädierte neben analogen auch digitale Kulturräume zu schaffen, erheiterte der digiS-Projektleiter Thorsten Koch das Publikum mit – laut eigenem Bekunden – „ungeordneten Gedanken“ zur digitalen Welt. Ziel müsse es sein, die Relevanz von Kulturerbe-Einrichtungen im Internet zu erhöhen: „Wie groß wäre der Aufschrei, wenn Ihre Museums-Webseite einen Tag lang offline wäre?“
Die digitale Erweiterung des Städel Museums Frankfurt war das Thema von Chantal Eschenfelder (Leiterin Bildung und Vermittlung am Städel Museum) im ersten Keynote-Vortrag des Tages. Anhand von vielen praktischen Beispielen zeichnete sie die Erfolge und Misserfolge des digitalen Städel nach und zeigte, wie digitales Schlendern durch die digitale Museumssammlung geht.
Im Anschluss machten die Mitarbeiter/-innen der vielen unterschiedlichen Berliner Digitalisierungsprojekte in einminütigen Blitzpräsentationen Lust auf vertiefende Diskussionen an ihren sehr vielseitig gestalteten Postern.
Nach einem ausgiebigen Austausch während der Postersession berichtete Mirjam Wenzel (Leiterin Medienabteilung des JMB) über den digitalen Wandel des Jüdischen Museums Berlin mit Schwerpunkt auf den methodischen Ansätzen und dem Prozess der Strategieentwicklung. Und wie schon ihre Vorrednerin verschwieg auch Mirjam Wenzel die Hürden und Herausforderungen nicht.
Motiviert durch die beiden Impulsvorträge war nun das Publikum gefragt: Vier Berliner Institutionen, das Georg-Kolbe-Museum, die Berlinische Galerie, das Stadtmuseum Berlin und die Hochschule für Technik und Wirtschaft (Fachbereich Museumskunde) erzählten vom Stand der Digitalisierung in ihren Häusern und formulierten die Frage nach der digitalen Zukunft: Was machen wir nun daraus? Was kommt als nächstes? In einem moderierten World Café Format berieten und diskutierten die Gäste angeregt und interessiert die vier vorgestellten Fälle.
Die Berlinische Galerie sieht sich durch die kollegiale Beratung in ihrer bisherigen Vorgehensweise bestätigt und ermutigt, die vorgestellten nächsten Schritte weiter anzugehen. Dazu gehören im Hinblick auf das Semantic Web vor allem der Ausbau des kontrollierten Vokabulars. Bei der Frage, nach welchen Kriterien Digitalisierungsprojekte ausgewählt werden sollten, gab es seitens der Berater/-innen die Empfehlungen dies themen- oder ausstellungsbezogen zu tun. Einzelne, oft für Ausstellungsprojekte entwickelte Produkte wie Apps, Blogs, Guides, Webseiten etc. sollten in jedem Fall zusammengedacht werden, um hieraus Ansätze für eine digitale Strategie zu entwickeln. Diese dürfe nicht allein von der Logik (und finanziellen Kraft) einzelner Großprojekte abhängen, so die Berater/-innen im BG-World Café. Auch müsse vermieden werden, dass zwei Museen (ein analoges und ein digitales) enstehen, die nichts miteinander zu tun haben. Eine längere Diskussion entstand um die Frage, wie sich Digitalisierungsprojekte und die entstandenen Ergebnisse in größeren Kontexten vernetzen lassen und ob hier jenseits von DDB und EUROPEANA Wege der besseren Sichtbarkeit und vernetzten Nutzbarkeit gefunden werden können. Weitere Hinweise waren, die Barrierefreiheit im Blick zu haben und digitale Angebote auch gezielt für Menschen mit Behinderung einzusetzen.
Im World Café des Georg Kolbe Museums ging es unter anderem um die Frage, wer der oder die Nutzer der digitalen Sammlungen sind und welche digitalen Szenarien daher abgestuft auf diese verschiedenen Zielgruppen entwickelt werden sollten. Noch ist der Kolbe-Bestand, da rechtlich geschützt, zugänglich für Wissenschaftler und Forscher, nicht aber verfügbar für breite Nutzerkreise und partizipative Nutzungsformen. Doch angesichts der Tatsache, dass 2017 der urheberrechtliche Schutz der Werke Georg Kolbes ausläuft und die digitale Sammlung dann auch für bspw. „open data“-Projekte der Wikimedia oder für Hackathons wie „Coding da Vinci“ frei verfügbar wäre, werde man, so Carolin Jahn vom Kolbe-Museum, dann neue, sehr viel stärker partizipative Vermittlungsformen ausprobieren können. Um die neu gewonnene Freiheit gehörig zu würdigen, kam bei den World Café Besuchern die Idee auf eine „Urheberrechtsfrei“ – Party zu feiern! Carolin Jahn, die als Projektleiterin die komplette Realisierung aller Projekte des Kolbe-Museums verantwortet und umgesetzt hatte, war erfreut – nicht nur über diese Idee, sondern besonders auch über das vielfältige Lob der Kaffeetisch-Besucher über ihre Arbeit und ihr Engagement: Das Georg-Kolbe-Museum wird als erstes von allen Berliner Förderprojekten seinen Kolbe-Bestand vollständig digitalisiert haben!
Für das Stadtmuseum Berlin, ebenfalls ein erprobter digiS-Partner des Förderprogramms, haben sich zwei strategische Hinweise aus dem World Café in das Langzeitgedächtnis eingebrannt: Langfristig gute, sinnvolle und damit in die Museumsarbeit eingegliederte digitale Projekte brauchen ein Konzept und eine Richtung, die sich aus der Gesamtstrategie eines Hauses ableitet und hinter der sich die Mitarbeiter im Haus wie auch die externen Adressaten versammeln können. Trotz aller Strategiedebatten bleibt es auch im Digitalen wichtig, ausreichend große Spielplätze zu schaffen, in denen Institutionen und die aktiven Nutzer ihrer Daten voneinander lernen können. Eine der Richtschnüre für die Entscheidung für oder gegen ein Projekt, analog oder digital, muss die Frage sein, wie sich ein Stadtmuseum im städtischen Raum positioniert und wahrgenommen werden will. „Wie trägt man das Museum in die Stadt?“ Oder: Warum nicht auch bei digitalen Projekten auf die Wünsche und Anregungen der Besucher, Museumsfreunde und Unterstützer hören?!
Lässt sich das fragmentierte textile Erbe im digitalen Raum zusammenführen? Dies war die Leitfrage des Projektes DESSIN – Stoffmuster digital der HTW Berlin (Fachbereich Museumskunde). Wer interessiert sich dafür und was müssten wir tun, um ein solches Projekt erfolgreich umzusetzen und langfristig zu sichern? Zu diesen Fragen, die sich aus dem Pilotcharakter des Projektes DESSIN ergeben hatten, konnten im Rahmen des World Cafés Anregungen und Intentionen aus dem Kreis der versammelten Kollegen „eingesammelt“ werden. Die Beiträge haben einerseits die eigenen Vorüberlegungen der Projektmitarbeiterinnen bestärkt „Standards“ in Form einheitlicher Metadatenformate und eines gemeinsamen kontrollierten Vokabulars zu entwickeln und zu nutzen. Weitere Hinweise betrafen die Einschätzungen zu potentiellen Zielgruppen: neben den Forschern und der breiten Öffentlichkeit solle auch die „Do-it-yourself-Community“ bedacht und in den entsprechenden sozialen Netzwerken für das digitalisierte Material geworben werden. Deutlich betont wurde, dass eine langfristige Perspektive eine breite Basis benötigt und die Rolle der Hochschule als Impulsgeber oder als dauerhafte Koordinierungsstelle (wofür sie sehr gut geeignet wäre) vorab definiert werden muss.
Mit der Auswertung der World Cafés endete die digiS-Veranstaltung. Zum Tagesausklang gab es neben der traditionellen digiS|tation eine Führung der Berlinischen Galerie durch ihr Digitalisierungslabor. Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Mitwirkenden und insbesondere bei unserer Gastgeberin, der Berlinischen Galerie, für ihr großes Engagement und diesen gelungenen Tag bedanken und freuen uns bereits auf die Fortsetzung im nächsten Jahr!
Fotos: Thomas Nitz, CC BY 4.0